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Chronik der Stadt Zarrentin

Es wird versucht die Rubrik Chronik der Stadt Zarrentin so aufzubauen, dass nach und nach längere Kapitel chronologisch sortiert hinzugefügt werden. Hierbei sollen von der deutschen Besiedlung und der ersten nachgewiesenen Erwähnung des Ortes im Jahr 1194 bis in die Gegenwart verschiedene Schwerpunktthemen gesetzt werden.

Deutsche Siedlungsbewegung im mittelalterlichen Westmecklenburg (Christianisierung der Slawen)

Spätestens im 7. Jahrhundert begannen sich slawische Stämme in der Schaalsee-Region niederzulassen. Auch wenn die Landschaft bereits durch Germanen besiedelt wurde, sind davon kaum Überreste erhalten (siehe Völkerwanderung in der Spätäntike). D. h. die Slawen mussten für jede Siedlung Rodungsmaßnahmen in der dicht bewaldeten Region durchführen. Es wurde bevorzugt in der Nähe von Seen und Flüssen gesiedelt, allerdings waren die Siedlungen selbst nicht immer unmittelbar am Gewässer, sondern viel ehr auf hochgelegenen bisweilen sandigen und lehmigen Böden. So bildeten Sümpfe natürliche Barrieren zum Schutz einer Siedlung, die zusätzlich mit Holzpalisaden ausgestattet werden konnten.

Der Fischfang bildete eine wichtige Nahrungsquelle, außerdem betrieben die Slawen eine einfache Ackerwirtschaft und hielten neben Schafen, Rindern und Schweinen, Geflügel. Seit der Regierungszeit Karls des Großen um 800 erhalten die slawischen Stämme einen schriftlich überlieferten Namen. Im östlichen Raum von Lauenburg und in Westmecklenburg wurde der Großstamm der Obotriten verortet. In der Schaalsee-Region von Lübeck bis zur Elbe formierte sich der Teilstamm der Polaben (bedeutet Elbanwohner).

Die Obotriten wurden zeitweise Verbündete und später Feinde des Frankenreichs. D. h. es gibt eine wechselvolle Geschichte zwischen den Slawen und den deutschen Siedlern aus dem Frankenreich. Die in Westmecklenburg häufig vorkommenden slawischen Ortsbezeichnungen weisen noch heute auf die gemeinsame Vergangenheit hin.

Der slawische Fürst Gottschalk bemühte sich um die Ausbreitung des Christentums und war somit im Einflussgebiet der sächsischen Herrscher. Gottschalk wurde in Lüneburg unterrichtet, seine Mutter war dänischer Herkunft. Auch die Kirche erweiterte ihren Einfluss Mitte des 11. Jahrhunderts. Der durch verschiedene Kriegshandlungen verwaiste alte Bischofssitz in Oldenburg (nordwestlich von Lübeck) wurde 1060 durch Erzbischof Adalbert im Einvernehmen mit dem slawischen Fürst Gottschalk neu errichtet. Die Bistümer Ratzeburg und Mecklenburg sind Gründungen, die sich auf das Stammland der Obotriten beziehen. Für den Teilstamm der Polaben wurde der griechische Kleriker Aristo ausgewählt. Diesbezüglich wurden in mehreren Orten in Lauenburg und Westmecklenburg kirchliche Einrichtungen geschaffen, allerdings konnte sich das Bistum im Polaben-Land nicht durchsetzen. In religiöser Hinsicht konnte sich der neue Glauben generell nicht durchsetzen. Trotz der in religiöser Hinsicht schwierigen Lage nahm die Missionstätigkeit nicht ab, so versuchte u. a. Abt Ansverus mit seinen 18 Brüdern vom Kloster bei Ratzeburg die slawischen Anwohner zu bekehren.

Die Spannungen in der Region entluden sich am 7. Juni 1066 angeführt von slawischen Priestern vorrangig gegen kirchliche Einrichtungen. Begünstigt wurde der Aufstand durch eine Schwächung des zuständigen Erzbischofs Adalbert, da dieser mit dem Verlust der Beratertätigkeit bei König Heinrich IV. seine Nähe zum König verlor. In der Folge wurde Fürst Gottschalk erschlagen und die Siedlung Hamburg westlich von Polabien erobert. In der Folge kam es in vielen Regionen zu unkontinuierlichen Machtblasen.

Etwa 30 Jahre später setzten sich in Polabien gesicherte Machtstrukturen parallel zum Christentum unter dem Sohn des erschlagenen Fürsten Gottschalks, namens Heinrich, durch. Die heidnischen Slawen östlich von Polabien versammelten sich um die Macht von Heinrich zu brechen. Aufgrund der Waldstruktur in Westmecklenburg bzw. Lauenburg hätte  das heidnische Heer nur zwischen Ratzeburg und Mölln ins Hinterland der Sachsen durchbrechen können. So kam es südlich vom Ratzeburger See zu einer Schlacht bei Schmilau. Heinrich rief Herzog Magnus von Sachsen, die nördlich bzw. westlich lebenden Barden, Holsten, Stormaren und Dithmarscher zur Hilfe, sodass die Schlacht 1093 zwischen zwei Großverbänden stattfand.

Helmut von Bosau berichtete von der Schlacht aus der Perspektive von Herzog Magnus von Sachsen, der mit seinen Truppen bei Schmilau lag und auf Verstärkung wartete. Hierbei scheute sich Magnus zunächst das große und gut bewaffnete Heer der heidnischen Slawen anzugreifen. Nachdem die Verstärkung zum Abend eingetroffen war, konnte ein denkwürdiger Sieg errungen werden. Der Sieg wurde vor dem Hintergrund der Hilfe Gottes hoch gefeiert, da die heidnischen Slawen gegen die sinkende Sonne ankämpfen mussten und dabei arg geblendet wurden. „… das sie vor Licht nichts sehen konnten, so hat der gewaltige Gott seinen Feinden im kleinsten das größte Hindernis bereitet.“ (Helmod, I. S. 34)

In Altlübeck richtete Heinrich seine Residenz ein, um von hier aus seinen Machtbereich gen Osten zu erweitern. Zu diesem Zeitpunkt war er Stammesfürst der Wagrier und wohl auch der Polaben. Somit reichte sein Herrschaftsgebiet von Altlübeck über Ratzeburg, die Schaalsee-Region bis nach Boizenburg an der Elbe. Darüber hinaus ging sein Einflussgebiet im Osten bis hinter Schwerin. Damit war Heinrich ein König im Gebiet der nordelbischen Slawen.

Im Jahr 1104 stirbt der militärisch erfolgreiche sächsische Herzog Magnus, danach fiel sein Land an Lothar von Süpplinburg. Dieser sogenannte Lothar III. war seit 1106 Herzog von Sachsen sowie ab 1125 König und von 1133 bis 1137 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Anfang des 12. Jh. lebte Lothar mit dem Haus der Salier, dass  seit dem 11. Jh. die Könige und Kaiser stellte, in Unfrieden. Daher konsolidierte er seinen Machtbereich im nördlichen Teil des Reiches.

Für die weitere Entwicklung im norddeutschen Raum spielte die Heiratspolitik von Herzog Magnus eine wichtige Rolle. Eilike, die erste Tochter von Magnus, wurde mit dem Askanier Graf Otto von Ballenstädt verheiratet. Wulfhild, die zweite Tochter von Magnus, heiratete sich ins Haus der Welfen. Sie ging die Ehe mit Herzog Heinrich dem Schwarzen von Bayern ein. Durch diese Heiratspolitik erbten die Askanier und Welfen große Ländereien im niedersächsischen Raum. Beide Häuser kamen durch die räumliche Nähe immer wieder in Zwist, sodass sie sich später zu Rivalen entwickeln sollten.

Am 22. März 1127 wurde Sventipolk als Sohn Heinrichs zum Nachfolger seines Vaters in Altlübeck. Allerdings ist die weitere Entwicklung als tragisch zu bewerten, da Sventipolk 1129 von einem Holsteiner namens Daso ermordet wiurde und sein Enkel Swinike kurz darauf ebenfalls sein Leben verliert. Historiker gehen davon aus, dass die Aneinanderreihung der Ereignisse dafür spricht, dass es sich um eine systematischen Auslöschung der Familie Heinrichs (Nakoniden) handeln könnte. Mittlerweile konnte Lothar III. seine Macht ausdehnen und war seit 1125 Kaiser, damit benötigte er keine weitere Rückendeckung durch ein einheimisches Fürstengeschlecht im Raum Westmecklenburg.

Kaiser Lothar regelte die Verhältnisse selbst, in dem er 1134 die Burg Segeberg aufbauen ließ. Diese Burg diente als Basis und war gegen die Wagrier und Polaben im Osten gerichtet. Der Chronist Helmod von Bosau berichtete zu Segeberg, das bereits die slawischen Stämme ahnten, dass von hier aus zunächst Plön und Altlübeck sowie später Ratzeburg und ganz Polabien (Westmecklenburg) erobert werden würde.

Kaiser Lothar starb im Jahr 1137, daraufhin erhielt sein Schwiegersohn Heinrich der Stolze neben den bayrischen Ländereien auch die sächsischen Territorien. Allerdings konnte Heinrich der Stolze seinem Vater nicht als König des Reiches folgen, in der Versammlung wurde der Staufer Konrad III. gewählt. Heinrich der Stolze verlor aufgrund ungünstiger, politischer Konstellationen schließlich die Herzogtümer Sachsen und Bayern. Die Machtkämpfe zwischen den Hohenstaufen und Welfen führten im gesamten Reich zu Veränderungen. Graf Adolf II., ein Fürsprecher der Welfen, verlor die Gebiete Holstein und Stormarn an Heinrich von Badewide. Heinrich von Badewide stammte aus Bode bei Lüneburg. Er führte 1138/39 einen erfolgreichen Winterfeldzug gegen die Slawen in Wagrien (an der Ostseeküste). Nach einigem hin und her erhielt Heinrich der Löwe (erst 14 Jahre alt) die sächsische Herzogenwürde. Heinrich der Löwe vermittelte zwischen Graf Adolf und Heinrich von Badewide, da beide gute Territorialherren waren. Graf Adolf II. erhielt Holstein und Stormarn zurück und die Feste Segeberg und Wagrien. Heinrich von Badewide wurde 1143 das Land der Polaben (terra polaborum) zugesprochen also die Grafschaft Ratzeburg (inkl. einiger Teile Westmecklenburgs).

Beide Grafen begannen um die Mitte des 12. Jahrhunderts mit der Christianisierung und deutschen Besiedlung. Hierbei machte Graf Heinrich von Badewide den slawischen Ringwall in Ratzeburg zu seinem Sitz. Helmod von Bosau berichtete in seiner Slawenchronik, dass unter Heinrich von Badewide das Polaben-Land (Ostholstein und Westmecklenburg, insbesondere der Schaalsee-Raum) durch Siedler aus Westphalen besiedelt wurde. Außerdem wurden die Landstriche vermessen und das Land den neuen Siedlern zugeteilt. Heinrich von Badewide trat ähnlich wie Adolf II. in Wagrien und Albrecht der Bär in Brandenburg als „Unternehmer“ auf, da er den Landesausbau auf eigene Kosten und Risiko durchführte.

Eine neue Form der Ansiedlung führte über einen adligen Mittelsmann, den sogenannten Lokator. Dieser erhielt eine bestimmte Fläche Land und musste für die Ansiedlung von neuen Siedlern sorgen. Bereits im Zehntregister von 1230 sind nur noch wenige rein slawische Dörfer in der Grafschaft Ratzeburg zu finden. Mit der Ansiedlung von deutschen Bauern, ist ein Teil der slawischen Bevölkerung nach Osten ausgewichen, allerdings sind auch einige geblieben und wurde im Laufe der Zeit integriert.

Die Ausweitung des Machtbereichs Heinrich des Löwens fand in mehreren Wellen statt. So wurde 1143 die Grafschaft Ratzeburg (inkl. weiter Teile Westmecklenburgs) unter Heinrich von Badewide gegründet. Der Einflussbereich reichte 1147 in Mecklenburg bis Schwerin, ab 1160 (bis hinter Schwerin), sodass 1161 die Grafschaft Schwerin gegründet wurde. 1164 fiel ganz Mecklenburg in den Machtbereich des Löwen und 1165/66 (südliche Teile Vorpommerns) wurden entscheiden Schlachten gegen slawische Stämme geführt, sodass am Ende der Einfluss bis nach Pommern reichte.

 

Quelle: Hans-Georg Kaack: Ratzeburg - Geschichte einer Inselstadt, Neumünster 1987, S. 15 ff., 22. ff.

Jüdisches Leben in Zarrentin

Mit dem Jahr 2021 beginnt ein Jahr der Festlichkeiten und des Gedenkens an über 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Anlässlich dieses Festjahres hatte sich 2018 in Köln der Verein „321-2021:1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.“ gegründet, um die Bedeutung der jüdischen Kultur und Geschichte für Deutschland und Europa wachzuhalten. Wir wollen das Jubiläum von 1.700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland für Zarrentin zum Anlass nehmen, um zu prüfen, ob sich jüdische Wurzeln in der Schaalseestadt finden lassen.

Offensichtliche Hinweise wie einen jüdischen Friedhof oder eine Synagoge sind für Zarrentin nicht nachweisbar. Der Flecken Zarrentin wurde im Mittelalter durch die Ansiedlung eines Zisterzienser Nonnenklosters geprägt. Allerdings lassen sich keine bedeutenden Gewerke oder ein größerer Handelsplatz ausmachen, da die Bevölkerung nicht sehr stark gewachsen ist und die umliegenden Städte wie Wittenburg oder Ratzeburg politisch und wirtschaftlich eine größere Rolle spielten. Die Ansiedlung von Juden im Mittelalter ist somit als eher unwahrscheinlich einzuschätzen. Dieser Annahme geht die Einschätzung voraus, dass die Ansiedlung von Juden im Mittelalter oftmals mit wirtschaftlicher Prosperität verbunden wird, da jüdische Mitmenschen bisweilen nur bestimmte Berufen ausüben durften, die eher in wirtschaftlichen Knotenpunkten zu finden sind. Das schließt jedoch nicht aus, dass jüdische Menschen zumindest zeitweise im Flecken Zarrentin gelebt haben, bisher gibt es dafür jedoch keine Belege.

Es gab in der mittelalterlichen Geschichte Mecklenburgs mehrere Vorfälle wie den Sternberger Hostienfrevelprozess von 1492 (Hostie = Die Hostie symbolisiert das Brot, das Jesus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern geteilt hat.). Die Folge solcher Prozesse waren Verleumdung von Juden, die Vertreibung sämtlicher Juden aus Mecklenburg und die Ermordung der beschuldigten Juden. Die Neuansiedlung von Juden in Mecklenburg wurde von Herzog Christian Ludwig I. eingeleitet. Er wollte durch jüdische Händler den Tabakhandel in seinem Herzogtum ankurbeln. In dieser Folge fand die Ansiedlung von Schutzjuden in Mecklenburg insbesondere im 18. Jahrhundert statt. Diese Ansiedlung lässt sich für Zarrentin nicht bestätigen, in der landesweiten Schutzjudenliste aus dem Jahr 1760 wird Zarrentin nicht erwähnt. Die Lebensbedingungen von Juden wurden auf deutschem Boden fast durchgängig reglementiert, der Begriff „Schutzjude“ geht auf erwünschte bzw. geduldete Juden zurück, die von der Landesregierung eine Art „Aufenthaltserlaubnis“ erhielten, die oft als Privileg bezeichnet wurde. Dieses Privileg enthielt das Recht, an einem bestimmten Ort des Landes einen festen Wohnsitz einzunehmen.

Mit der Reformation wurde das Zarrentiner Kloster aufgelöst, sodass bis ins 19. Jahrhundert die Landwirtschaft und die Fischerei die Wirtschaft im Ort prägten. Der typische Beruf von Schutzjuden in Mecklenburg ist der Kaufmann mit oder ohne Fuhrwerkserlaubnis. Eine Betätigung als Handwerker oder in der Landwirtschaft blieb häufig verwehrt. Somit gibt es bis ins 19. Jahrhundert keine genauen Hinweise auf jüdisches Leben in der Schaalseestadt.

Der derzeit früheste Nachweis für eine jüdische Familie in Zarrentin geht auf das Jahr 1824 zurück. Der Arzt Dr. Friedrich Ludwig Jaffé ließ sich mit seiner Frau Doris Jaffé (geb. Wolf) in diesem Jahr in Zarrentin am Schaalsee als Amtsarzt nieder, zuvor war er mindestens vier Jahre in Boizenburg tätig. In Zarrentin kam auch das dritte Kind des Ehepaares, Christian Jaffé zur Welt. Christian Jaffé wurde wie sein Vater Arzt. Dr. Friedrich Ludwig Jaffé entstammt einer alteingesessenen jüdischen Familie aus Schwerin. Sein Großvater war Markus Lazarus Jaffé, der Oberrabbiner von Mecklenburg war. Es ist nicht bekannt, wann die Familie Jaffé Zarrentin wieder verließ.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es mit der Familie Franz eine weitere jüdische Familie in Zarrentin. Emma Henriette Karoline Franz wurde am 3.11.1869 in Crivitz (Mecklenburg) geboren und zog spätestens mit 16 Jahren nach Zarrentin. Sie wohnte in in der Lübschen Straße, Büdnerei Nr. 51 (heute vermutlich Töpferstraße) und in der Chausseestraße 26 und 23 (heute Hauptstraße). Hier wurde am 22.02.1886 ihr erster Sohn Emil Friedrich Karl Franz geboren. Emil Franz wurde evangelisch erzogen und war Kuhfütterer. Er wohnte in Zarrentin im Haus der Mutter und zog später nach Hannover, wo er am 24.11.1946 mit 60 Jahren starb. Der zweite Sohn Paul Emil Wilhelm Franz wurde am 18.03.1891 in Zarrentin geboren, er wurde ebenfalls evangelisch erzogen und wohnte wie sein älterer Bruder im Haus der Mutter. Er zog später in die Wismarsche Straße 32 nach Schwerin.

Der industrielle Aufschwung erreichte Zarrentin mit der Anbindung an das Streckennetz der Reichsbahn. Am 1. Mai 1894 wurde der Flecken Zarrentin mit der Strecke Ludwigslust-Hagenow-Wittenburg verbunden. Und am 15. August 1897 wurde der weitere Ausbau bis nach Ratzeburg abgeschlossen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Zarrentin unter anderem eine große Kartoffelflockenfabrik. Das Stadtrecht wurde Zarrentin erst 1938 gewährt. Die beiden fürs 19. Jahrhundert belegten jüdischen Familien deuten darauf hin, dass das Bevölkerungswachstum entsprechend zunahm und dadurch die Wahrscheinlichkeit stieg, das auch eine jüdische Familie sich in Zarrentin niederließ. Belege zeigen jedoch, dass sich weit mehr Jüdinnen und Juden in Wittenburg und Hagenow niedergelassen und dort entsprechende Gemeindegründungen stattgefunden haben. Um u. a. gesellschaftliche Restriktionen zu vermeiden, ließen sich im ausgehenden 19. Jahrhundert zudem Juden zunehmend christlich taufen.

Für das 20. Jahrhundert lässt sich die jüdische Familie Heine nachweisen. Hertha Anna Frieda Heine (geb. Gatermann) wurde am 11.12.1911 in Kasseburg (Schleswig-Holstein) geboren und zog mit ihrem Mann Friedrich bis 1937 nach Testorf. Hertha Heine starb im Alter von 81 Jahren am 26.01.1993 in Zarrentin. Sie wohnte in Zarrentin, Am Markt 4. In Testorf wurde am 08.04.1937 ihre Tochter Gertrud Else Elli Heine geboren. Ihre zweite Tochter Gunda Auguste Frieda Heine wurde am 02.08.1941 in Hagenow geboren. Die letzten bekannten Wohnorte von Gertrud und Gunda sind Zarrentin, Am Markt 4.

Bisher gibt es keine Hinweise auf Deportationen von Juden aus Zarrentin. Wir vermuten, dass es damit zusammenhängt, dass nach nationalsozialistischem Verständnis (gemeint sind die Nürnberger Gesetze von 1935) keine Juden in Zarrentin lebten.

Im Hinblick auf das 1.700 Jahre lange Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden kann resümiert werden, dass das jüdische Leben für den längsten Zeitraum reglementiert war. Eine Annäherung von Juden und Nicht-Juden wurde auch dadurch erschwert und bisweilen verhindert. Es bleibt zu hoffen, dass das millionenfache Leid des Holocaust als Mahnmal dieser unwürdigen Lebensbedingungen sich nicht wiederholt.

 

Quellenangaben:

Buddrus, Michael; Fritzlar, Sigrid - Juden in Mecklenburg 1845-1945 Lebenswege und Schicksale. Ein Gedenkbuch, Band 2, Schwerin 2019, S. 185-186, 252.

https://www.1700jahre.de/#ueberuns (Stand: 02.01.2021)

http://www.juden-in-mecklenburg.de/Orte/Zarrentin_am_Schaalsee (Stand: 02.01.2021)

http://www.juden-in-mecklenburg.de/Geschichte/Schutzjuden (Stand: 02.01.2021)

 

Die Schaalseeregion als Bestandteil der innerdeutschen Grenze

Um mehr über die innerdeutsche Grenze in der Schaalseeregion zu erfahren, lohnt sich ein Ausflug zum Grenzhus nach Schlagsdorf. Das Grenzhus Schlagsdorf ist das größte Informationszentrum zur ehemaligen innerdeutschen Grenze in Mecklenburg-Vorpommern. Schwerpunktmäßig wird der Grenzbereich zwischen Ostsee und Elbe in den Fokus genommen. Auf wissenschaftlicher Basis werden Voraussetzungen sowie die Vor- und Nachgeschichte der DDR-Grenze betrachtet und präsentiert. Das Besondere ist der regionale Bezug mit diversen persönlichen Schicksalen.

 

Das Gründe Band

Aktuell gehören die Grenzregionen der ehemaligen DDR zum sogenannten Grünen Band, einem Naturschutzprojekt, welches vom BUND e.V. bereits 1989 als Idee entwickelt wurde. Seit 2003 hat Michail Gorbatschow, der von 1985 bis 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war und durch sein Handeln maßgeblich zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen hat, die Schirmherrschaft über das Grüne Band übernommen. Seitdem erstreckt sich der sogenannte European Great Belt über 12.000 Kilometer vom Eismeer am Nordkap bis zum Schwarzen Meer. Das Grüne Band soll Ost und West verbinden und gleichzeitig ein Mahnmal der deutschen bzw. europäischen Teilung darstellen. Außerdem ist das Grüne Band ein Rückzugsraum für seltene Pflanzen und Tiere geworden. Die Biosphärenreservate Schaalsee und Flusslandschaft Elbe bilden das Biosphärenband Elbe-Schaalsee. Gemeinsam nehmen beide Naturschutzgebiete im Wesentlichen die Kerngebiete des Grünen Bandes für diesen Abschnitt ein. Erste Bemühungen die Schaalseeregion als Naturschutzgebiet zu erklären, gab es bereits 1985. Zwischen der BRD und der DDR wurde darüber verhandelt „ökologische Nischen“, wie auch explizit die Schaalseeregion beiderseits der Grenze zu bewahren. In der Folge wurde der Naturpark Schaalsee 1990 von der letzten DDR-Regierung eingerichtet. Im Jahr 2000 erhielt der Schaalsee schließlich die UNESCO-Anerkennung. Die Voraussetzungen für diesen Abschnitt des Grünen Bandes wurden durch diese Maßnahmen gestärkt.

 

Innerdeutsche Grenze in der Schaalseeregion

Die Grenzlinie am Schaalsee hatte vor  und kurz nach dem 2. Weltkrieg ein anderes Gesicht. So gehörten die Bereiche östlich vom Schaalsee (Techin, Stintenburg, Lassahn, Stintenburger Hütte und Bernstorf) sowie nordöstlich vom Schaalsee (Groß Thurow) zum Herzogtum Lauenburg und damit zur britischen Besatzungszone und wären nicht Teil der DDR geworden. Allerdings fand am 13.11.1945 ein Gebietstausch zwischen der sowjetischen und britischen Besatzungszone statt. Für die Briten lagen die Regionen östlich des Schaalsee strategisch ungünstig und die Sowjets konnten den Grenzverlauf so beeinflussen, dass die neue Grenze besser zu kontrollieren war. Getauscht wurde gegen das mecklenburgische Gebiet zwischen Hohenleuchte und Ziethen östlich von Ratzeburg.

Nach dem 2. Weltkrieg war die Grenzregion am Schaalsee ziemlich durchlässig. Das heißt, für die ansässige Bevölkerung war der Übergang zur anderen Besatzungszone bzw. später zur BRD bzw. DDR möglich. Eine erste Verschärfung der Maßnahmen trat im Juni 1952 mit der Einrichtung von Grenzsperrgebieten in der DDR ein. Hierbei wurden über 2.000 Menschen aus den Sperrgebieten Mecklenburgs in das Landesinnere der DDR verbracht, diese Aktion wurde auf Befehl der Sowjetunion zur Durchsetzung der SED-Diktatur im Grenzgebiet durchgeführt. Betroffen waren Menschen, die sich kritisch zum DDR-Regime äußerten oder die zu dicht an der Grenzlinie wohnten. Am 3. Oktober 1961 beginnt die zweite Umsiedlungsaktion. Diese ist Bestandteil der hermetischen Abriegelung der DDR-Grenze, um die Fluchtbewegung aus der DDR zu beenden. Dabei müssen 920 Männer, Frauen und Kinder aus 55 Grenzorten in Westmecklenburg  ihren Heimatort verlassen. Aus der Region zwischen Boizenburg und Zarrentin wurden 349 Personen ausgewiesen. Die Umsiedlungen wurden zum Teil brutal durchgeführt, die schockierten Menschen mussten innerhalb von wenigen Stunden ihr Hab und Gut zusammenpacken und wussten nicht, wohin es ging. Das restriktive Vorgehen war zugleich eine Warnung an alle, die noch in den Sperrgebieten lebten, sich angepasst zu verhalten. Bis zum Ende der DDR kam es immer wieder zu Zwangsaussiedlung von vermeintlich nicht angepassten oder kritischen Menschen.

Gescheiterte und erfolgreiche Fluchtversuche

Im Zuge der hermetischen Abriegelung der DDR wurden die Grenze mit hohen Zäunen versehen, die im Laufe der Zeit zu Zaunanlagen mit Signalzaun, Hundelaufanlage, Kontrollstreifen, Streckmetallzaun und 6-12 Meter hohen Überwachungstürmen versehen waren. Ab 1970 beginnen spezielle Pioniereinheiten der DDR den Grenzzaun systematisch mit Splitterminen (SM 70) auszustatten. Diese Selbstschussanlagen führten auch in der Schaalseeregion zu schweren Verletzungen. So beging der 36-jährige Kraftfahrer H. B. aus Carlow am Abend des 27. Januar 1982 einen Fluchtversuch bei Thurow Horst. Nach einem Restaurantbesuch ging er ohne Wissen seiner Eltern auf Höhe Dechow an den mehrere Meter hohen Signalzaun, den er mit Hilfe eines Verkehrsschildes überwinden kann. Beim Überwinden des nächsten Grenzzaunes wird er von mehreren Selbstschussanlagen verletzt. H. B. schafft es trotzdem, sich auf bundesdeutsches Territorium zu schleppen und wird dort am Morgen vom Bundesgrenzschutz gefunden. Im Ratzeburger Krankenhaus wurden ihm 14 Metallsplitter aus dem Körper operiert. H. B. kehrt allerdings nach einem Anruf seiner Frau in die DDR zurück. Ein Strafverfahren wird aufgrund der Bekanntheit des Falles und aufgrund der Tatsache, das H. B. freiwillig zurückkehrte eingestellt. Die gesundheitlichen Folgen waren jedoch erheblich, am 31. Oktober 1985 verstirbt H. B. im Alter von 40 Jahren bei der Feldarbeit. Allerdings sind ähnliche Fluchtversuche oft auch tödlich gewesen. Am 04. September 1983 versuchte der 29 Jahre alte Schiffbaukonstrukteur H. W. aus Wismar seine Flucht bei Kneese. H. W. gelingt es mit Hilfe von verschiedenen Werkzeugen, den neuen noch nicht fertig installierten Signalzaun südlich von Kneese zu überwinden. Angesichts der Selbstschussanlagen am nächsten Zaun, versuchte H. W. diesen Zaun zu untergraben. Dabei löste er jedoch zwei Selbstschussanlagen aus, die herbeigeeilten Grenzsoldaten finden nur noch den leblosen Körper von H. W. vor.

An der innerdeutschen Grenze gab es gemäß einer Studie 327 Grenztote. Hierbei sind die positiven Fluchtversuche kleine Lichtblicke. So versucht der bei Gadebusch lebende 29-jährige J. G. mit seiner Familie am 25. August 1973 die Flucht mit einem Agrarflugzeug. J. G. war Flugzeugmechaniker auf dem kleinen Flugplatz in Ganzow bei Gadebusch und bekommt unter einem Vorwand die Schlüssel zum Flieger. Er schaffte es außerdem seine Frau und das gemeinsame Kind in einem kleinen Stauraum des Fliegers unterzubringen. Mit ganz viel Glück bekommt der flugunerfahrene J. G. das Flugzeug in die Luft und kann es bis Lübeck-Blankensee steuern. Bei der Landung wird das Fahrwerk und ein Flügel beschädigt, aber die Familie blieb unversehrt.  Ebenso glücklich verlief die Flucht des 20-jährigen W. D. der in Dutzow bei Kneese aufwächst. Am Abend des 13. Septembers 1975 ging er mit Taschenlampe und Sägeblättern von Dutzow nach Groß Thurow am Goldensee. Zwischen den Dörfern verläuft ein Entwässerungsgaben, der verrohrt ist. Um die lebensgefährlichen Zäune zu umgehen, begibt er sich in die Entwässerungsrohre und kriecht fast 2,5 Stunden durch das 300 Meter lange verschlammte Rohr. Mit letzter Kraft konnte er am Ende den Goldensee durchschwimmen und das Ufer, welches zur Bundesrepublik gehörte, erreichen.

Sehr geschickt ist eine Flucht bei Zarrentin verlaufen. Der 22-jährige F. M. wächst in Testorf bei Zarrentin am Schaalsee auf und besucht die POS in Zarrentin. An Silvester 1988 planen F. M. und zwei Freunde, die bei der Reichsbahn arbeiten und ebenfalls im Grenzsperrgebiet wohnten, ihre Flucht. Die drei jungen Männer bereiteten sich auf die Flucht so gut es ging vor und trafen sich am Abend des 02. März 1989 in einer Wohnung in Boize, das westlich von Testorf liegt. Kurz nachdem die Grenzpatrouille sie abends passiert hatte, begannen sie damit eine Bockleiter über den knapp 3 Meter hohen Signalzaun aufzubauen. Dabei schafften sie es am Zaun kein Signal auszulösen. Die letzten Selbstschussanlagen wurden im November 1984 demontiert, somit konnten sie den Streckmetallzaun mithilfe von Steighilfen überqueren und wurden auf bundesdeutsche Seite bei Sophiental vom Bundesgrenzschutz aufgenommen. Erst am frühen Morgen begannen auf DDR-Seite die Ermittlungen.

 

Innerdeutsche Grenze heute

Die ehemalige innerdeutsche Grenze ist fast vollständig verschwunden, es gibt nur noch wenige nachgebaute Anlagen, die von Museen wie dem Grenzhus Schlagsdorf geführt werden. Wer einen Wanderausflug mit dem Thema innerdeutsche Grenze verbinden möchte, kann vom Grenzhus Schlagsdorf aus einen ca. 9 Kilometer langen Grenzparcours begehen. Hierbei können 14 Stationen, die über historische Ereignisse oder zum Aufbau der Grenze berichten, angelaufen werden. Der Weg führt einmal um den Mechower See und endet wieder in Schlagsdorf.

In der Schaalseestadt Zarrentin stand am nördlichen Ende des Rundwegs um den Kirchsee bis in die 1990er Jahre ein Grenzturm, wie er im Grenzhus Schlagsdorf zu besichtigen ist. Das sichtbarste Element der Grenze bei Zarrentin ist der ehemalige Kolonenwege der Grenzsoldaten im Testdorfer Wald nordwestlich von Zarrentin.

 

Quellenangabe:

http://www.grenzhus.de (Stand: 09.01.2021)

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Das-Ende-der-Todesautomaten-in-der-DDR,todesautomaten100.html (Stand: 09.01.2021)

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ddr-geschichte-der-mauertoten-fu-berlin-dokumentiert-327-biografien-a-1151089.html (Stand: 09.01.2021)


WISSENSWERTES

Jüdische Familiennamen

Die Nachnamen der bekannten jüdischen Familien in Zarrentin zeichnen sich nicht durch einen besonderen biblisch-theologischen Kontext aus. Dies hängt mit den Assimilierungsversuchen im 19. Jahrhundert zusammen. Bis ins 18. Jahrhundert hatten die meisten Juden in Deutschland nur einen Rufnamen und zur genaueren Bestimmung noch den Rufnamen des Vaters. Zum Beispiel „Moses ben Abraham“ was soviel heißt wie Moses Sohn des Abraham. Vererbbare Familiennamen sind in der Gesellschaft Norditalien seit dem 9. Jahrhundert belegt. Und ab dem 15. Jahrhundert sind diese festen Familiennamen in ganz Europa üblich. In jüdischen Gemeinden war dies lange Zeit nicht so, da jüdische Gemeinden mit einer jüdischen Infrastruktur verbunden waren und es somit keinen Grund gab sich der Namenskonvention anzuschließen. Außerdem waren viele Gemeinden so klein, dass jeder jeden kannte.

Mit der Aufklärung wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in allen großen Ländern Westeuropas die Auffassung vertreten, Juden nicht mehr als Volk, sondern als eigene Religionsgemeinschaft anzuerkennen. So wurde beispielsweise in Preußen im März 1812 das sogenannte „Judenedikt“ erlassen, das die einheimischen Juden vom Status des Fremden befreite und ihnen weitgehende Bürgerrechte verlieh. Die Regelung des Edikts wurde auch von den mecklenburgischen Großherzögen übernommen und galt damit auch in Zarrentin. Der erste nachweisbare jüdische Bewohner Zarrentins war 1824 der Arzt Dr. Friedrich Ludwig Jaffé. Im Sinne der Anpassung des jüdischen Lebens sollten Juden sich einen festen Familiennamen geben. In Preußen konnten Juden diesen Namen frei wählen. Im Gegensatz dazu, mussten sie in Frankreich und Österreich aus einer Liste von verbreiteten Namen in der Bevölkerung wählen, damit die jüdische Religion am Namen nicht erkannt werden konnte. In Deutschland ließen sich viele Juden von ihrem Heimatort oder ihrem Beruf inspirieren. Daher kommen solche bildreichen Namen wie Blumental, Birnbaum oder Oppenheim zustande. Seit den 1830er Jahren setzte eine zunehmende Eindeutschung vieler jüdischer Vornamen ein. Es kann festgehalten werden, dass viele Juden ihre deutsche und jüdische Identität als kompatible Struktur begriffen und dass die Assimilation innerhalb der deutschen Gemeinschaft von Juden vorangetrieben wurde.

In der NS-Zeit mussten alle männlichen Juden den Namenszusatz Israel und alle Frauen den Zusatz Sara führen. Dieser Namenszusatz war eine Stigmatisierung aller Juden. Die Tötung der unzähligen jüdischen Mitbewohner im Zuge der Endlösung hat hierbei eine doppelte Tragik. Es wurden Menschen unschuldig umgebracht und dass auch noch, obwohl sie sich seit den 1830er Jahren zunehmend von der jüdischen Identität entfernt hatten.

Quelle:

https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-geschichte-der-juedischen-namen-ab-heute-heisst-du-sara/1321365 (Stand: 17.01.2021)